Usability, Interaction Design?

Vorletzte Woche war ich bei einem Expertengespräch zum Thema “Usability und staatliche Jobportale” (es ging darum, welche Rolle Usability für diese Angebote spielt). Relativ spät im Lauf des Gesprächs wurden dabei auch verschiedene Definitionen des Konstrukts Usability diskutiert. Meine (zugegebenermaßen etwas zu kurz geratene) Definition betonte die beiden Aspekte Erlernbarkeit und Effizienz. Erst nachdem alle Diskussionsteilnehmer ihre persönliche Sichtweise des Begriffs ins Spiel gebracht hatten wurde mir wieder einmal klar, wie viele unterschiedliche Anschauungen es hier gibt.

Für mich persönlich sind beispielsweise Usabilitytests immer qualitative Verfahren (thinking aloud), es wird also weder Zeit noch Fehleranzahl pro Aufgabe gemessen. Es geht mir immer darum, Probleme zu erkennen und die Meinung des Users dazu zu erfahren. Es gibt aber natürlich auch die ganz andere Sichtweise: Usabilitytests in denen die Qualität der Software über die Fehleranzahl sowie die time on task definiert wird (quantitative Verfahren). Daneben gibt es auch noch verschiedene DIN – Normen

Und es gibt, das kam für mich in dieser Runde überraschend, auch die Ansicht, dass Usabilitytests ohnehin nichts bringen. Als Beispiel dafür wurde das Office – Paket von Microsoft genannt, welches trotz vieler Usabilitytests über die Jahre hinweg auch nie wirklich “besser” wurde (auch darüber ließe sich streiten, vielleicht einmal in einem anderen Posting).

Und dann gibt es natürlich auch noch den Begriff Interaction Design, und die Frage, wie sich diese Disziplin zu Usability verhält.

Ich hab’ seitdem etwas nachgedacht und bin für mich zu folgenden Schlüssen gekommen:

  • Usability umschreibt für mich sowohl eine Reihe von Methoden (Tests, Walkthroughs, …) als auch ein Ziel, nämlich ein Produkt mit oben genannten Eigenschaften (Erlernbarkeit,Effizienz, erweitert um Fehlertoleranz und Zufriedenheit) zu kreieren. Auch das schöne Konzept Flow aus der Psychologie könnte man vielleicht miteinbeziehen.
  • Interaction Design als Begriff habe ich bewusst eigentlich erst wahrgenommen, als ich zum ersten Mal am Interaction Design – Stammtisch war.
  • Usability Methoden umfassen einerseits Techniken zum Evaluieren bereits vorhandener Systeme (Usability Tests). Andererseits zählen für mich auch Designtechniken wie Cardsorting, Personas oder Partizipatives Design zu den Usabilitymethoden. Diese Methoden werden aber andererseits auch von Interaction Designern angewendet.
  • Usabilitymethoden führen nur zu Usability. Was ich damit meine: Bestimmte Aspekte eines Designs (etwa gewählte Schriftart, Aussehen von Icons u.ä.) können mit Usabilitymethoden zwar getestet und für gut befunden werden. Allerdings ist es immer möglich, dass anders gestaltete Icons oder eine andere Schriftart beim User besser “ankommen”. Diese Aspekte beschränken sich meiner Meinung nach nicht nur auf das grafische Design, sondern auch auf dahinter liegende Prozesse (also das Look&Feel). Und genau hier liegt auch das Aufgabengebiet eines erfahrenen Designers. Was aber nicht bedeutet dass man auf Usability Tests verzichten sollte.

Zusammenfassend kann man vielleicht sagen, dass Usability für mich ein Ziel ist zu dem verschiedene Methoden führen.
Die Frage für mich ist: Gibt es einen Unterschied zwischen der von mir verwendeten Usability – Definition und dem Ziel von Interaction Design? Woran lässt sich Interaction Design operationalisieren? Anders ausgedrückt: Woraus lässt sich ableiten (wenn nicht aus den von mir beschriebenen Usability – Kriterien), dass ein Design “gelungen” ist? Oder gibt es dafür keine messbaren Indikatoren?

Dan Saffer schreibt in seinem Buch Designing for Interaction:

Interaction design is an art – an applied art, like furniture making; it’s not a science.

Er widerspricht sich selbst aber später in dem selben Buch, wenn er meiner Meinung nach wissenschaftliche Methoden wie Personas, Interviews, Beobachtung und auch Tests als Design – Methoden aufzählt.

Mich würde nun eure Meinung dazu interessieren. Ist die Unterteilung in verschiedene Disziplinen wichtig? Oder sollte man sich, wie ich meine, auf die Methoden (die ja ohnehin ident zu sein scheinen) konzentrieren und versuchen, Zielindikatoren für gelungenes Design zu erarbeiten?

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Jörg Linder

User Experience consultant, web addict. working at digitalberatung.at . check my profile at about.me/joerg.linder

4 thoughts on “Usability, Interaction Design?”

  1. Hallo zusammen,

    ich befasse mich gerade in meiner Thesis mit dem Design digitaler Dienste. Dabei bin ich auf einen interessanten Artikel von John Armitage in der ACM Interactions (May+June, 2003) gestoßen. Er unterscheidet dabei in

    Appearance Design
    Information Architecture
    Interaction Design
    User-Interface Design
    Digital Product Design
    Experience Design

    Ohne jetzt auf die genauen Unterschiede eingehen zu wollen denke ich, dass verschiedene Design-Disziplinen Grundsätze zur jeweiligen Gestaltung (der Icons, der Information, der Interaktion, etc.) darstellen.
    Usability ist ein Maß für die Benutzbarkeit und stellt Mittel zur Evaluation zur Verfügung. Bzgl. des Appearance Design kann man mit Usability-Test bspw. nachweisen, dass hellblaue Schrift auf dunkelblauem Hintergrund nicht gut lesbar ist. Als zweites Beispiel, bzgl. Interaction Design kann mit Usability-Tests überprüft werden, wie flexibel die Navigation einer Webseite ist (multiple paths) und verschiedenen Nutzerpräferenzen zugute kommt.

    Ich hoffe, dass war einigermaßen verständlich 🙂 Ich kann nur allen interessierten empfehlen mal diesen Artikel zu lesen.

  2. Hi Mathias und Danke für das Kommentar!

    Ich nehme an du meinst diesen Artikel:
    “Design: From user interface to über-interface: a design discipline model for digital products” (John Armitage, May 2003, interactions, Volume 10 Issue 3)?

  3. > Woraus lässt sich ableiten (wenn nicht
    > aus den von mir
    > beschriebenen Usability – Kriterien),
    > dass ein Design “gelungen” ist?
    > Oder gibt es dafür keine messbaren
    > Indikatoren.

    Schwierige Frage. Messbare Indikatoren gibt es sicher, aber die sollte man wahrscheinlich zuerst etwas unterteilen. Wenn ich mich z.B. auf grafisches Design (fällt das eigentlich unter “User Interface Design”? 😉 beziehe, würde ich die folgende Indikatoren untersuchen.

    Farbe: z.B. unter Heranziehung der allgemeinen Farbenlehre (Goethe, Itten). Also Grundfarbe definieren, Kontrastfarben finden usw.

    Layout: unter Heranziehung “allgemein gültiger Layoutregeln”, die in verschiedenen Bücher usw. beschrieben werden. Nützlich (und mit sicherheit sehr selten verwendet) ist hierbei sicherlich auch der goldene Schnitt.

    Schrift: Lesbarkeit, Größe, Kontrast, … spielt eigentlich eng mit dem Bereich Layout zusammen.

    Das wären meine paar “Zielindikatoren für gelungenes (grafisches) Design”.

    > Ist die Unterteilung in verschiedene
    > Disziplinen wichtig?
    > Oder sollte man sich, wie ich meine,
    > auf die Methoden (die ja ohnehin ident
    > zu sein scheinen) konzentrieren
    > und versuchen, Zielindikatoren für
    > gelungenes Design zu erarbeiten?

    Die Unterteilung macht meiner Meinung nach schon deshalb Sinn, da sich ja (wie im vorigen Kommentar beschrieben) die unterschiedlichen Disziplinen auf unterschiedliche Bereiche konzentrieren. Dadurch wird es für mich übersichtlicher.

    Natürlich greifen diese Disziplinen ineinander über und es stellt sich auch die Frage wie sie in unseren Breitengraden praktische Anwendung finden (in Form von unterschiedlichen, ausführenden Personen).

    Aber ein Blick über den großen Teich zeigt doch, dass es sehr viele unterschiedliche Jobausschreibungen z.B. bei Google, Cooper, Yahoo, usw. für diese Bereiche gibt (neben den bereits genannten noch z.B. Visual Architect, Visual Designer, usw.)

    Zielindikatoren kann man ja trotzdem definieren, halt für jede Disziplin.

    my 2 cents (oder Groschen)

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